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Geschichten vom Arrenberg - 27. Juli 2021

Tonleitern im Hof der Druckerei

In Nummer einsvierdrei kommt vieles mit Augenmaß zusammen

Mancher Hinterhof im Viertel wartet noch auf seine Entdeckung – „einsvierdrei“ dagegen hat längst sein Publikum. Denn an der Friedrich-Ebert-Straße 143 sitzen heute u.a. ein Küchen Concept Store, eine Kunstgalerie und etliche andere Unternehmungen. Viele Gründe, nicht nur als Anlieger vorbei zu schauen.

Das war nicht immer so. Jahrzehntelang stand die Adresse ganz im Zeichen industrieller Produktion – außer zur Arbeit fand kaum jemand einmal hierher. Schon im Jahre 1890 hatte sich hier die Firma Ferdinand Esser niedergelassen und stellte Stahl- und Kurzwaren her. Nach dem Ersten Weltkrieg gab sie den Standort auf. Anfang der 1920er Jahre zog dann die Großdruckerei Josef B. Scholz ein, und der Name dieser Familie ist bis heute eng mit dem Haus verbunden. Die Firma führte auch so klangvolle Bezeichnungen wie „Kunstprägeanstalt“ und zählte zeitweise 225 Beschäftigte.

Wer heute das Glück hat, einen Druckbogen von damals in den Händen zu halten, bekommt eine Ahnung von der Qualität: Geprägtes Briefpapier, darauf per Folie aufgebracht die Kontaktdaten, dazu ein detailreiches Firmenlogo, entworfen in der hauseigenen Gestaltungsabteilung. Mit der Zeit wurden jedoch neue Trends zum Problem – bei Unternehmen mit Anspruch keine Seltenheit: Preiswertere Konkurrenz machte der Firma Scholz immer mehr zu schaffen. Fatal war da aus heutiger Sicht auch die Weigerung, in puncto Offsetdruck umzurüsten. Das Ende vom Lied, besser vom Kapitel „Großproduktion“: Sohn Rudolf B. Scholz verkaufte 1980 die Druckerei, die dann auszog, und entschied sich für eine Zukunft der Immobilie als reines Mietobjekt. So kennt man sie bis heute.

Handelseinig wurde man dann mit der Musikhochschule: Die Wuppertaler Abteilung der Hochschule für Musik Köln zog ein. Die neue Belegung sollte die folgenden Jahrzehnte prägen und sorgte nebenbei für besondere Begleitumstände: Im Treppenhaus wurden festliche Neujahrskonzerte gegeben, und akustisch präsent waren die Musiker eigentlich das ganze Jahr. Gerne war beim Aufenthalt im Hof schon mal eine gerade geprobte Tonleiter aus dem Fenster zu hören. Da scheint es nur passend, dass das Gelände bis heute kreative Anwohner hat, mehrere Künstler in den angrenzenden Häusern leben oder arbeiten. Idylle? Trotz allem eher praktisch gedacht – fast dreißig Jahre lang war die Musikhochschule zuverlässiger Großmieter in Nummer 143.

Pragmatismus ist es überhaupt, was Peter Scholz im Gespräch bis heute ausstrahlt. Der Enkel des Druckunternehmers war bis 2016 Eigentümer des Gebäudes, und die Geschichte des Hauses bestimmte er mit gut kaufmännischem Augenmaß. Wie 2009, als die Musikhochschule zur Sedanstraße zog: Jürgen Grölle suchte gerade einen Ort für seine Galerie – ein Glückstreffer; besonders von dem großen Raum zur Wupper hin war der Künstler schnell angetan. Später sollten Heiko und Gabriele Sisting die Adresse für sich entdecken; das Vierwändewerk hat in dem imposanten Palazzo an der B7 seit 2013 seinen festen Platz.

Wichtig war Peter Scholz immer, dass es passte: „Ich bin ja auch stiller Gesellschafter meiner Mieter“, beschreibt der Vermieter schmunzelnd, warum ein gedeihliches Zusammenleben entschieden in seinem eigenen Interesse war. Geh doch zum Nachbarn – nach diesem Motto verwies er gern den einen Mieter für fachliche Unterstützung an den anderen. Drohten Konflikte, griff er beherzt ein: „Manchmal muss man auch korrigieren.“

Und auch beim Denkmalschutz spielte wohl die Persönlichkeit des Eigentümers eine Rolle: Schon das Jugendstilfenster im alten Treppenhaus der Villa, groß, bunt und bis heute zu bewundern, erforderte Rücksichten, und jeder geplante Umbau über die Jahre stand unter amtlicher Kontrolle. Doch nach Scholz‘ Erfahrung war der kritische Blick der Behörden meist konstruktiv, und wieder lag es vielleicht auch an seinem Selbstverständnis: „Atmosphäre will ich ja selbst.“ Als der mittlerweile fast 70-Jährige sich mit seiner Frau jetzt schließlich zum Verkauf von Nummer 143 entschied, blieb der Blick entspannt. Denn bei aller Treue langer Mieter über die Jahrzehnte: Den Wechsel kannte man ja.


Text: Martin Hagemeyer

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