Geschichten vom Arrenberg - 13. Ağustos 2021
„Ich werde der König der Nacht“
Eine Reise in das Leben von Hans Schmitt
Auf der Suche nach einem neuen Nachtclub bekam Hans Schmitt im Dezember 1989 den Tipp von einer Freundin aus der Hamburger Szene, dass in Wuppertal ein Nachfolger für einen Saunaclub gesucht wird. Hans stutzte. Wuppertal? Diese unglamouröse Stadt weckte wenig Interesse bei diesem Kerl, der damals im besten Mannesalter ganz anderen Herausforderungen gewachsen gewesen wäre. Ausgerechnet Wuppertal? Gezwungenermaßen kam Schmitt auf der Rückfahrt vom Kiez über die A46 durchs Tal und entschloss sich spontan, doch kurz nachzuschauen. Der erste Blick auf das Gebäude war für ihn eine Farce! Schmitt war es gewohnt ein größeres Rad zu drehen und jetzt sollte er sich diese Bruchbude ans Bein binden? Er stieg noch nicht einmal aus und trat das Gaspedal nach einem kurzen Augenblick wieder durch. Kurz vor der Auffahrt Elberfeld besann er sich abrupt, kehrte um und lebt nun seit 23 Jahren sehr gerne in unserer Stadt.
Hans Schmitt erblickte im fränkischen Würzburg das Licht der Welt und wuchs in einer intakten und rechtschaffenen Familie mit liebenden Eltern auf. Die Mutter war sein angebetetes Zentrum, sein Vater das größte männliche Vorbild. Die Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg waren entbehrungsreich und das Männerbild sehr von Klischees und Überlebensängsten geprägt. Sein Vater stählte ihn und legte bei seinem Sohn die Grundlagen zum Körperkulturisten. Der Junge saugte seine Umgebung auf, staunte über die Welt und wie sie ihm begegnete. Er witterte die menschlichen Abgründe, die ihn erwarten würden und die ihn letztendlich trieben. Hans spürte im tiefsten Inneren und viel zu früh, dass er sich notfalls mit aller Gewalt im Leben wird durchsetzen müssen, aus Angst selbst Opfer dieser opportunistischen Gesellschaft zu werden. Sein extremes Körperbewusstsein, das Verlangen nach Macht und Anerkennung prägten das weitere Heranreifen des jungen Mannes. Zeitgleich wuchs auch seine unbändige Neugierde für das Nachtleben. Triebfeder für den 17-Jährigen war ein Abenteuerfilm mit dem Leitspruch „The World is Yours“!
Die Welt gehört Dir! „Uuui!“, dachte er, „Toll!“. Wenige Tage später fand er in einer Telefonzelle eine Brieftasche und er hielt unerwartet 120 Mark in den Händen. Ein kleines Vermögen. Er machte sich auf den Weg zum Autobahnzubringer. Daumen raus. Ab nach Frankfurt. Bahnhofsareal. Moselstraße. Er tauchte ein in den Härtegrad 1 des Nachtlebens. Der junge Hans Schmitt stand an der Schwelle des Molochs, klopfte an und der Schoß öffnete sich bereitwillig. Er fiel in seine Zukunft aus „Sex and Crime“! Den ersten Satz, den er hörte, wird er nie vergessen. Eine alte Straßenhure kreischte laut, sirenengleich, und schrie ihm bis ins Mark. „Du hässlicher Vogel – lass Dir mal die Zähne richten!“. Der Hosenscheißer erschrak und die Körperspannung stieg. Aber nicht er war gemeint, sondern ein alter, desillusionierter Freier – Wummm!!! Da stand nun der Grünschnabel unter dem Weihnachtsbaum des Voyeurismus. Der Reiz für diese Welt war geweckt. Der Visualist sah nicht mehr nur, nein, er schmeckte plötzlich den Geschmack von Lust, Schweiß und Blut. Hans wollte Alles. Nur seiner geliebten Mutter nicht zur Last fallen. Der immer noch 17-Jährige verließ das Elternhaus und stellte sich endgültig auf eigene Füsse. Karlsruhe. Der erste Knochenjob. Brennpunkt Braunkohle. Die Arbeit war hart. Den ganzen Tag Säcke schleppen. Mit Disziplin ging bei Hans alles und er strahlte etwas aus, worauf die Leute reagierten. So kam es, dass der Abenteuersüchtige Häuptling einer Rockergang wurde. Seine Einnahmequellen wurden vielfältiger und er scheute keine noch so harte Arbeit. Im Gegenteil. Kohlen schleppen, Hoch- und Tiefbau, Rausschmeißer – immer härter, immer weiter! Im noblen Karlsruher Park Hotel wurde er Empfangsvolontär. Da standen sie auf einmal vor ihm: Die Reichen und die Schönen. Dem Wuppertaler Harald Leipnitz, Uschi Glas, Udo Jürgens und selbst dem großen, legendären Max Schmeling trug er die Koffer.
Nach drei Jahren in Karlsruhe ereilte ihn der Ruf der glitzernden Wildnis. Das Freiburger Nachtleben war in großer Not. Ein Spezialist musste her. Ein Mann ohne Grenzen, einer der weder Tod noch Teufel scheute. Einen Wahnsinnigen. Das war Hans. Die einen landeten auf dem Mond, Hans im Breisgau. In der Nachtszenerie musste jemand das kahlköpfige, stark alkoholisierte und dumpfe französische Militär abwehren. Im mitternachtsblauen Maßanzug regulierte der Bouncer dann das Geschehen und schlug eine Bresche in die pöbelnde Infanterie aus dem Nachbarland. Das erledigte Hans mit Brachialgewalt – mon Dieu, mon Dieu! Das Milieu applaudierte vor Freude und der Aufstieg begann…
Würzburg, Karlsruhe, Freiburg, Nürnberg, Ankara, Istanbul, Teheran und Stuttgart sind die intensiven Stationen seines Lebens. Im Iran der frühen 70er Jahre, zu den Zeiten von Schah Mohammad Reza Pahlavi, kam Hans mit zwei Autos an. Eins fuhr er selbst, das andere ein Hippie, der Kohle brauchte. Bei Ankunft zahlte er den Kiffer in der Grenzstadt Tabriz aus und machte sich an den Verkauf. Zuerst ging nichts. Er musste sich was einfallen lassen. Hans sah eine Moschee, ging hinein und betete am muslimischen Freitag unter den Augen der staunenden Masse. Die Neugierde war geweckt, das Eis gebrochen. Das kurbelte den Autoverkauf an. Er veräußerte einen Wagen in Tabriz und fuhr mit dem anderen weiter in die Hauptstadt Teheran. Dort das gleiche Spiel. Auch der zweite Wagen war bald verkauft. Deutlich gewinnbringend. Natürlich! Über Nacht ließ er sich für 150,- Mark einen Anzug aus dem feinsten, verfügbaren Stoff maßschneidern und gab einen Zwanni Trinkgeld. Die ersten Kontakte waren geknüpft und Hans Schmitt machte sich zurück auf den Weg in die Heimat. Da gab es noch mehr Autos…
Abenteuerliche Geschichten pflastern seinen Weg. Die Jahre sind voller Abgründe, extrem, gefährlich und in diesem Text nicht zu erzählen. „Sex and Crime“, die Einblicke in das Milieu der 70er, 80er und 90er Jahre, können und sollen hier nicht weiter vertieft werden. Ganz entscheidend in seinem Leben ist eine Begegnung. In den Nürnberger Jahren trifft er seinen Mentor, den amerikanischen Juden Harry Gelbfarb, der im Dritten Reich nach Amerika emigrierte. Der Pionier des deutschen Bodybuildings und oberster Präsident der Rosenkreuzer, begleitete Hans Schmitt bis zu seinem Tod im Jahre 2005. Diese Begegnung prägte Hans Schmitt nachhaltig. Bis zu jedem neuen Augenblick. 30 Jahre hartes Nachtleben forderten ihren Tribut. 2001 verlässt Hans ausgebrannt und kraftlos die Branche und pflegt seine Mutter, die teilweise bei ihm in Wuppertal wohnt. In der Stadt sieht man Mutter und Sohn harmonisch beim regelmäßigen Sonntagsspaziergang mit dem geliebten Schäferhund Harro. Hunde waren immer seine treuesten Freunde und nicht seine Partner zum Schutz des Geschäfts. Sie waren der ruhende Gegenpol zum harten, brutalen Leben der Nacht. Mit dem Tod der Mutter zwei Jahre später brechen alle Dämme. Hans Schmitt kann den Trauerfall nicht verarbeiten. Der Stecker ist raus, die Batterie ist leer. Hans lässt sich einweisen. Er sitzt im Tannenhof mit einer schweren, depressiven Episode, starrt die Wände an und weiß nicht mal mehr seinen Namen.
Von der Psychiatrie führt ihn sein Weg 2005 zu Proviel, einer Werkstatt für psychisch Kranke, in der Milchstraße. Eine wichtige, eine markante Zeit. Mit großem Enthusiasmus schraubt er Kinderfahrzeuge der Marke Puky zusammen. Hans lernt wieder und weiter vom Leben. Gefestigt und mit einer neuen, sehr intensiven Erfahrung bereichert, begibt er sich wieder auf seinen eigenen Weg. Er entwickelt mit dem Trizepter ein Fitnessgerät, welches als marktreifer Prototyp auf den Durchbruch wartet. Sein Lebenselixier ist und bleibt der Körpersport. Hans ist immer ein Natural Athlet gewesen. Der absolut überzeugte Vegetarier und Rosenkreuzer hat nicht ein Mal in seinem Leben an einer Zigarette gezogen, niemals Drogen genommen und nicht einen einzigen Tropfen Alkohol getrunken – Bücher und Wissen berauschen ihn. Hans Schmitt ist Aphoristiker, seine Schreiberei die wichtigste Geliebte.
Der ehemalige Puffdirektor war auch niemals Menschenhändler und hat
seinen Club mit Anstand und Werten geführt. Er besitzt keine Doppelmoral
und sein Führungszeugnis ist ein weißer Bogen Papier. Was Hans Schmitt
in den 30 Jahren Nachtleben erlebte und passierte, steht auf einem
anderen Blatt. Die Zeit dafür wird kommen. Seine Memoiren werden
geschrieben.
Text: Wolfgang Rosenbaum