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Geschichten vom Arrenberg - 9. Juli 2021

Hühnerschaf von der Heydt

Schloß Schnapsschnorchel und die seltsame Topographie der Kunst –
Ein kleiner Streufzug durch die Gemeinde

Die meisten Arrenberger haben eigentlich nicht das Gefühl, auf oder an einem Berg zu leben. Ganz im Gegenteil. Der Arrenberger an sich wohnt direkt an der Wupper und im Prinzip mitten in der Stadt. Eher heimlich klebt der Bezirk am nördlichen Hang des Kiesbergs, hangelt sich besucherritzengleich am Schwarzen Weg entlang und gleitet sanft hinunter bis ihn die Schwebebahn stoppt. Natürlicherweise sind Blick- wie Fließrichtung immer gleich und so schaut man als Anwohner, ohne sich den Nacken zu verdrehen, auf die andere Seite des schwärzesten Flusses der Welt oder auf eine verwitterte Häuserwand. Als Stadt im Kleinkindalter – anders kann man läppische 84 Jahre nicht nennen – verbietet es der latent gepflegte Separatismus dem kiezigen Wuppertaler von ganz allein, sich umzudrehen und auf die Höhen zu schauen. Der Begriff „Die da oben“ kommt ja nicht von ungefähr.

Der schöne Ausblick einer Chefetage beginnt oftmals aus einem hochwohlgeborenen Schoß und endet bei adäquater Lebensführung mit einem weiten Blick für das Leben. Aus diesem oder einem ähnlichen Grund bestieg im ausklingenden 19. Jahrhundert der autolose Bankier und Kunstmäzen August Freiherr von der Heydt den Rücken des Arrenbergs und schuf sich auf der erhabenen Königshöhe eine Sommerresidenz mit Aussicht bis ins Siebengebirge.

Die Menschen von der Heydt sind wie das Panorama längst Geschichte, nur der wohlklingende Familienname ist lebendig und für seine Taten in der Stadt veredelt. Geblieben, vom Wald umschlungen und unchristlich umgetauft, ist allerdings auch das Sommerhaus mit einem Nachfahren der ganz besonderen Art, der heute nicht nur dem Arrenberg, sondern wem er gerade möchte, süffisant im Nacken sitzt. Er ist Kaufmann, Diplom-Designer, Politiker, Gastronom, Oberster Kongress-Schwänzer der D.O.N.A.L.D. (Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus), Hühnerschaf, Lebensgefährte, Gelegenheitsvater, Freund, Halbtagsfeind und auf seine ganz persönliche Art ein treibendes Unwesen. Kurz: RME Streuf.
Noch kürzer: Streuf.

Ach ja, manche behaupten auch er sei Künstler, was an dieser Stelle allerdings strikt und pauschal abgestritten werden sollte. Es gibt auch Leute, die denken Streuf hätte irgendwas studiert und sogar abgeschlossen. Erinnern kann sich daran keiner. Man kann RME – geborener Ralf Michael Erich, lebender Raps Methylo Ester – Streuf weder fassen noch einordnen, da er das Assoziative und Komische ständig Walzer und Pogo miteinander tanzen lässt. Streuf bedient sich jeder Möglichkeit, Absurdes auszudrücken, zu spiegeln oder einfach nur im Komischen zu ertränken. Töne, Worte, Bilder, Objekte, Installationen und Politik, nichts ist vor ihm und seiner Betrachtungsweise sicher. Vieles wirkt wie purer Scherz, doch verbirgt sich der Nährboden oft im unerkannten Ernst. Es gibt Menschen, für die es unerträglich wäre, das Leben mit solcher komischen Transzendenz zu betrachten, wie es Streuf eigen zu sein scheint.

Die Kunst ist sein Tor zur Freiheit, das Leben seine Sammlung und die Realität eine Collage mit dem Rest der Welt. Zahlreiche Projekte mit den unterschiedlichsten Künstlern haben so sein Wirken geprägt und bei genauer Betrachtung nachhaltige Spuren hinterlassen. So gehört Streuf zu einem Künstler- und Freundeskreis, der den besonderen Wuppertaler Humor vorbei an jedem Sammler weit über die Grenzen der Stadt hinaus in die Arme der Titanic oder der Spiegel-Online-Redaktion getragen hat. Schon in den frühen 80ern fanden sich einige Protagonisten im Bandprojekt Armutszeugnis zusammen und sind bis heute gemeinsam aktiv. Das legendäre Wuppertaler Programmund Satiremagazin Italien ist mit seiner 30-jährigen Geschichte, seinem schier unerschöpflichen Chefredakteur Uwe Becker und dem famosen Eugen Egner eine der größten Konstanten zur permanenten Verbreitung satirischer Betrachtungsweisen des Bergischen. Die Freundschaften sprechen für sich, ebenso wie die Ergebnisse ihrer ausgelebten Inspiration.

Apropos ausleben. Streuf gehört logischerweise nicht zu der Sorte Künstler, die in grauenhafter Manier das Tor zwischen sich und ihrem Schaffen schließen. Das macht dem Himmel sei Dank seine Frau Claudia, bevor der gemeinsame Lebensraum von der streufschen Umgebungsdekoration und Sammelleidenschaft zu einer einzigen Collage verschmilzt. Dafür hat Streuf seine eigenen geheimen Räume auf Schloss Schnapsschnorchel, von denen Kinder träumen und Erwachsene sich in Panik ergeben.

Für manche ist es die bedeutendste Kunstsammlung der Stadt, für Streuf ist es sein Leben und für Schmetterlinge ein einzigartiges Labyrinth, durch dessen Gänge nur seitwärts geflogen werden kann. Was würden wohl August Freiherr von der Heydt und seine zahlreichen Künstlergäste dazu sagen, wenn sie plötzlich aus dem Dornröschenschlaf der Geschichte aufwachten und das Sommerhaus als Schloss Schnapsschnorchel erkunden könnten? Dem großen Dichter Rainer Maria Rilke würden wohl die Worte und von der Heydt seine Bilder fehlen. Doch Letzterer kann beruhigt sein. Schließlich hat Streuf mit seiner Frau Claudia ein kleines Café angemietet, an welches ein zierliches Steingebäude angegliedert ist, das die Sammlung von der Heydts beherbergt. Nennt sich ‚Muse ums Café‘ oder ‚von der Streuf-Museum‘. Ach, La Paloma, fragen Sie bitte in 100 Jahren nochmal nach!

mehr Streuf:

www.faksi.de
www.streuf.de
 

Text: Wolfgang Rosenbaum

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